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die Generalprobe

Die Strecke des Berliner Straßenlaufs erzählt viele Geschichten

Wenn einige Wochen vor dem BMW BERLIN-MARATHON die Aktiven bei dem Berliner Straßenlauf – Die Generalprobe auf die 10,5 Kilometer lange Strecke gehen, sprechen sie nicht zu Unrecht von der „Berliner Generalprobe“. Doch die Strecke ist nicht nur sporttest-tauglich, der Parcours hat am Wegesrand auch zahlreiche Geschichten zu erzählen. Das lädt uns zur Streckenbesichtigung der besonderen Art ein.

Wenn man auf der Schloßstraße am Start steht, befindet man sich auf einer der wichtigsten Einkaufsstraßen Berlins. Umkleiden und Startunterlagen gab’s bereits am Forum Steglitz, das in den vergangenen Jahren neu gestaltet wurde.

Auch der Bierpinsel hat sich seine Medaille verdient © SCC EVENTS / Vincent-Dornbusch

Auch der Bierpinsel hat sich seine Medaille verdient

Der Bierpinsel bei Sotheby’s

Sobald das Loslaufen und der erste Enthusiasmus vorüber sind, lohnt es sich, hier einen Blick nach rechts oben zu werfen: Pilzartig ragt ein seltsames Haus fast 50 Meter in die Höhe. Allerdings war es stets schwer vermietbar und nicht mal Sotheby’s konnte es versteigern. Jüngst schaffte es das Haus in eine Netflixserie, wo es das LKA Berlin beherbergen soll.

Die Berliner, die das Haus schlicht den Bierpinsel nennen, werden es mit Humor genommen haben. Doch die Strecke trägt uns auch schon weiter, immer die Schloßstraße hinunter, bis es an einem Backsteinbau rechts abgeht. Dieser wurde 1898 als Rathaus gebaut, als der Stadtteil Steglitz (in dem wir uns befinden) eine eigenständige Landgemeinde war.

Franz Kafka und der Kaiser

Rechts ab geht es in die Grunewaldstraße. Hier stehen sie noch, die alten Berliner Wohnhäuser aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Und in einem davon, bei der Hausnummer 13, verbrachte Franz Kafka 1923/1924 seinen letzten Winter. Nach Berlin war er gekommen, weil er sich in eine junge Frau verliebt hatte. Kafka mochte Berlin, seine Gesundheit ließ dem Lungenkranken aber nicht mehr viel Zeit, er starb im folgenden Sommer. Die Grunewaldstraße schlängelt sich durch ein schönes und ziemlich grünes Wohnviertel und wird zur Königin-Luise-Straße.

Dort erspäht man linkerhand ein reetgedecktes Bauernhaus, das in Wahrheit nichts anderes ist als eine U-Bahnstation. Die Station Dahlem Dorf wurde 1912/1913 errichtet und es war Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich, der auf einem Gebäude im Stil eines norddeutschen Gutshauses bestand, das zu dem damals noch sehr ländlichen Charakter von Dahlem passen sollte.

Reetdächer sind in Berlin eher die Ausnahme © SCC EVENTS / Vincent-Dornbusch

Reetdächer sind in Berlin eher die Ausnahme

Herr Haffner und Herr Einstein

Direkt gegenüber liegt nämlich die Domäne Dahlem, ein historisches Landgut, das heute Bioprodukte anbietet und ein Museum zur Landwirtschaft besitzt. Einst bezogen die Berliner hier die bekannte Dahlemer Vorzugsmilch. An der Domäne fanden Milchkutschenparaden statt. Apropos Dahlem: Nicht direkt an unserer Strecke, aber von hier aus nicht weit weg liegt die Ehrenbergstraße, in der kurz, 1914 nämlich, Albert Einstein lebte und auch forschte. Jahre später fand zufällig auch der Historiker Sebastian Haffner hier Logis („Anmerkungen zu Hitler“).

Rudis Ruhestätte

Nun sind wir schon bei Kilometer 3 und biegen rechts in die Pacelliallee ein. Noch heute wohnt man hier im Grünen, früher wirklich vor der Stadt, was den Bau so mancher Villa erklärt. Direkt beim Einbiegen in die Allee bietet sich der Blick auf die Sankt-Annen-Gemeinde mit Friedhof. Der bekannte Studentenanführer und 68er Rudi Dutschke liegt hier begraben. Der Vertreter eines demokratischen Sozialismus starb an den Spätfolgen der Schussverletzungen von 1968.

Daneben, nunmehr zu unserer Linken, liegt das frühere Pfarrhaus von Martin Niemöller, mit dem Rudi Dutschke Kontakt pflegte – wenig bekannt vielleicht ist, dass Dutschkes Sozialismus ein christliches Fundament hatte. Niemöller leistete mit der bekennenden Kirche Widerstand gegen die Nationalsozialisten und engagierte sich später in der Friedensbewegung.

Auf dem Friedhof der St. Annen-Gemeinde ruht Rudi Dutschke © SCC EVENTS / Vincent-Dornbusch

Auf dem Friedhof der St. Annen-Gemeinde ruht Rudi Dutschke

Hans-Dietrich nebst dem Wilden Eber

Die mit herrlichen großen Bäumen gesäumte Pacelliallee führt die Aktiven nun immer weiter nach Norden. Wer aufpasst, kann rechterhand die Stauss-Villa ausmachen, die eine eigenartige dreieckige Fassade zur Straße hin hat – in der Mitte ein schmuckes Türmchen mit der Haustür. Für den gleichnamigen Bankier 1914 erbaut, war sie nach dem Zweiten Weltkrieg lange der Sitz des amerikanischen Stadtkommandanten, bis nach der Wende Hans-Dietrich Genscher sie für das Auswärtige Amt requirierte.

Damit ist dann auch Kilometer 4 erreicht und die Läuferschar kommt auf den Platz des Wilden Ebers – ein wahrer Hotspot beim BMW BERLIN-MARATHON. Benannt sein soll der Platz nach einem tatsächlichen Eber, der 1885 im Biergarten „Zur Waldschänke“ aufgetaucht sein und vom Wirt erschossen worden sein soll. Dieser nannte seinen Ausschank dann um.

Liebesabenteuer mit einer Gräfin

Weiter geht’s, die Rheinbabenallee hinauf und dann rechts ab in die Hundekehlstraße. Nach wenigen Laufschritten gelangt man an die Hausnummer 11. 1898 bis 1900 lebte hier der Dichter Rainer Maria Rilke, allerdings nicht in dem Gebäude, das man heute sieht, denn die „Villa Waldfrieden“, in der er recht gediegen logierte, existiert nicht mehr.

Hier entstand in einer Nacht die Erzählung „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ – der Vorfahre des Dichters zieht darin gegen die Türken und erlebt ein verhängnisvolles Liebesabenteuer mit einer Gräfin. Heute mag man kurz dem Genius des Dichters und dieser seltsamen Erzählung nachspüren, bevor es weitergeht in die Breite Straße.

Am Rüdesheimer Platz hat Weintrinken eine lange Tradition © SCC EVENTS / Vincent-Dornbusch

Am Rüdesheimer Platz hat Weintrinken eine lange Tradition

Ein Brunnen voller Wein

Laufend gelangt man nun zum Rüdesheimer Platz. Im Mai hat hier der Rheingau das Sagen … und seine Weine. Der Rheingauer Weinbrunnen, wie das Fest heißt, schenkt Wein aus, Essen kann man selbst mitbringen. Nicht weit entfernt liegt eine weitere Kuriosität, die erwähnt werden soll, auch wenn sie nicht direkt an der Strecke liegt: Die „Schlange“. Dabei handelt es sich um einen Hochhauskomplex, durch den eine Autobahn führt. Der 1980 fertiggestellte und auf Stoßdämpfern aufgesetzte Komplex (um die Erschütterungen durch den Verkehr abzufangen) wirkt ein wenig wie ein großes Schiff.

Die Architektur war selbstredend umstritten. Der Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker befand: „Wenn der Teufel dieser Stadt etwas Böses antun will, lässt er noch einmal so etwas wie die ‚Schlange‘ bauen.“ Nun ja, heute steht die Schlange unter Denkmalschutz. Ist man aus dem Rheingauviertel hinaus, ist auch schon Kilometer 9 geschafft. Am Friedrich-Wilhelm-Platz gilt es noch einmal eine Rechtskurve nehmen, dann sind wir auch schon auf der Zielgeraden. Alles mitbekommen? Wenn nicht, gibt es ja noch die zweite Runde für alle, die den Halbmarathon laufen.